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Das Spiel mit der Stimmung

Der Begriff „soziale Medien“ hat längst ausgedient. Bürgermeister Schleid begründete die Infoveranstaltung nicht zuletzt damit, dass in Internetforen rechte Stammtischparolen über die Lage in Trostberg die Runde machen. Vieles von dem, was sich derzeit auf Facebook, Twitter und Co. abspielt, ist zutiefst un- bis asozial. Jeder, der sich berufen fühlt, seine von Halb- und Viertelwissen gespeisten Ansichten zum Flüchtlingsthema äußern zu müssen, nimmt jede sich bietende Gelegenheit wahr, seinen rechten Quark zum Besten zu geben. Und das oft mit einer Rechtschreibung, bei der man sich fragen muss, ob das mit den nur neun Jahren Schulpflicht wirklich eine gute Idee war. Eines haben diese Zeitgenossen immerhin schon drauf: Sie wissen, dass die Meinungsfreiheit grundgesetzlich garantiert ist, und stecken ihren Hass unters Deckmäntelchen des Artikels 5. Nur: Meinung ist lediglich ein Etappenziel auf dem Weg zum Wissen. Wer wissen müsste, dass Schnee weiß ist, sollte nicht unbedingt auf der Meinung, Schnee sei grün, beharren. Das zeugt sonst eher von überschaubarer Intelligenz. Wissen über das Asylrecht und die Situation von Flüchtlingen stünde in ausreichender Menge zur Verfügung. Aber man informiert sich lieber auf obskuren Internetseiten, die sich darauf spezialisiert haben, Vorurteile zu bestätigen.

Trostberg Orgelpfeifer Dipferl Logo Kommentar DipferlscheißerDoch es sind nicht nur die sozialen Medien, auch die „alten“ Medien tragen Verantwortung für die aufgeheizte Stimmung. Sie bieten Politikern, die auch aus einem Parteikalkül heraus immer wieder betonen, die Stimmung im Lande kippe, ein Podium. Wenn Söder seine Idee, den Asylsuchenden das Taschengeld zu kürzen, um „keine finanziellen Anreize zu schaffen“, in die Welt hinausbläst, dann läuft das im Fernsehen und im Radio rauf und runter, es steht in den Zeitungen. Resultat könnte sein: Die Stimmung kippt wirklich.

Statt sich ernsthaft darum zu kümmern, dass die Lage in den Kommunen verbessert wird, zündeln Seehofer, Söder und Konsorten so eifrig wie mutwillig, um Stimmen am rechten Rand abzufischen. Nebenbei schieben sie Verantwortlichkeiten nach unten ab, ohne den Gemeinden und Städten echte Verantwortung zu übergeben. Verantwortung heißt in diesem Fall ganz klar: die entsprechende finanzielle und personelle Ausstattung, damit sich Landkreise und Kommunen professionell um Flüchtlinge kümmern können.

[sam id=“8″ codes=“true“] Die Stimmung könnte kippen – und ein erstes Anzeichen dafür ist die Aussage des Bürgermeisters: Die Grenzen der Leistungsfähigkeit rücken näher. Diese Grenzen sind aber nicht definiert, sie sind nicht faktisch, sondern gefühlt. Eine Stadt mit 11.000 Einwohnern kann doch nicht allen Ernstes kollabieren, weil sie 100 oder 200 Flüchtlinge verkraften soll. Eine Stadt, die mit der Situation bisher vorbildlich umgegangen ist – weil sie sich auf das Engagement von ehrenamtlichen Helfern und Institutionen verlassen kann, ohne das „die Aufgaben nicht zu bewältigen wären“. Das Versagen der großen Politik in Asylfragen darf nicht auf dem Rücken der freiwilligen Helfer ausgetragen werden. Wer ein Kippen der Stimmung herbeiredet, geht fahrlässig mit der Motivation der Ehrenamtlichen um. Das sollte sich eine Kommune, die immer wieder das Wir-Gefühlt betont, nicht leisten. Ausbaden müssen das Ganze dann erneut die schwächsten Glieder der Gesellschaft – die Flüchtlinge. Um die geht’s, nicht um Quoten und nicht um künftige Wahlerfolge.

Dipferlscheißer vom Dienst (DvD): Andreas Falkinger

Nachtrag für all jene, die jetzt ihre Sturmhauben zücken und mit den immer gleichen und immer gleich dümmlichen Argumenten für den völkischen Shitstorm auf Facebook rüsten:
  • Auch wenn mir das Flüchtlingsthema am Herzen liegt, werde ich dennoch keine Asylsuchenden bei mir zu Hause aufnehmen. Das steht aber auch gar nicht zur Debatte. Von all jenen, die diesen kümmerlichen Argumentationsversuch ins Feld führen, wurde das übrigens auch noch nie verlangt. Es ist nicht Aufgabe des Einzelnen, das Asylproblem zu lösen, sondern Aufgabe des Gemeinwesens, des Staates – von uns allen.
  • Wer rumheult, dass den Flüchtlingen alles hinten reingeschoben wird, dass sie kostenlos wohnen dürfen und versorgt werden, der sollte sich einfach mal von dem Gedanken verabschieden, dass das ein sorgenfreies Leben im von uns finanzierten Luxus ist. Wahlweise kann er/sie ja selbst mal testen, ob das wirklich luxuriös ist, wenn man seine 14 Quadratmeter Wohnraum mit einem Fremden teilt. Oder wenn man mit 50 und mehr Fremden dasselbe Bad und dasselbe WC benutzt.
  • Nein, Söder hat nicht Recht, wenn er meint, das Taschengeld für Asylsuchende streichen zu müssen. Es handelt sich um 140 Euro. Pro Monat. Also um 4,67 Euro am Tag. Wer behauptet, das sei für Syrer, Afghanen oder Eritreer ein zusätzlicher finanzieller Anreiz, um nach Deutschland zu kommen, ist ein Zyniker. Oder ein Populist. Oder beides. Der Regelsatz für Asylsuchende liegt übrigens unter dem des alles andere als üppigen ALG II. Und davon werden die Kosten für Strom, Wasser und Heizung abgezogen.
  • Nein, Flüchtlinge stoßen sich nicht am Begrüßungsgeld gesund. Weil es kein Begrüßungsgeld gibt.
  • Immer wieder gern genommen: Falls jemand mit dem Gedanken spielt, den Dipferlscheißer mit dem so herzallerliebsten wie bescheuerten Wörtchen „Gutmensch“ zu kommentieren, sei ihm versichert: Wenn ich die Wahl zwischen Gutmensch und Schlechtmensch hätte, dann überließe ich das Schlechtmenschentum gern ihm. Viel Spaß damit.
  • Wer auf der Orgelpfeifer-Facebookseite rumpöbelt und seinen rechten Mist in der typisch rechten rechtschreibschwachen Form absondert, darf getrost damit rechnen, dass er publikumswirksam verarztet wird. Faxen dicke.

 

Seite 1 – Wie die Stadt Trostberg mit Migration umgeht: „Grenze der Leistungsfähigkeit rückt näher“

Seite 2 – Migration aus Sicht des Landratsamts: „Das muss für den Landkreis machbar sein“

Seite 3 – Lage der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge: Standards noch nicht erfüllt

Seite 4 – Die geplante zentrale Flüchtlingsunterkunft: Keine Baracke am Ortseingang

(17. Juli 2015)

2 Kommentare

  1. Zum Dipferlscheisser.Waren die Flüchtlinge nicht schon in der Tuerkei in Sicherheit?Warum wollen alle nach Almanya?? Und durchqueren dazu zig sichere Länder. Ist es richtig eine rückständige intolerante , Frauen unterdrückende Religion zu importieren. Ich bin übrigens nicht rechts sondern pragmatisch.

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    • Grüß Gott, Herr Stadler.
      Gegenfrage: Wären Sie auf der Flucht vor einem Krieg, der zwischen einem totalitären Regime, Rebellen und dem IS ausgetragen wird, welches Land erschiene Ihnen als Ziel pragmatischer: die Türkei, in der die Demokratie derzeit keinen leichten Stand hat, oder ein mitteleuropäisches Land mit stabilen politischen Verhältnissen? Sie fragen: „Ist es richtig, eine rückständige, intolerante, Frauen unterdrückende Religion zu importieren?“ Ich gehe davon aus, dass Sie mit „rückständige, intolerante und Frauen unterdrückende Religion“ den Islam meinen. Gegenfragen: Kann man eine Religion importieren, die schon seit über 50 Jahren da ist? Sind Intoleranz, Rückständigkeit und Unterdrückung von Frauen Alleinstellungsmerkmale des Islam? Hängen alle Asylsuchenden einem radikalen Islam an? Sind wir bereit, 99 Asylsuchenden das Recht auf Asyl zu verweigern, weil einer von 100 womöglich radikalisiert ist? Halten Sie den Katholizismus für fortschrittlich? Sind Organisationen wie Opus Dei, Engelwerk, Marienkinder, Piusbruderschaft oder die Una-Voce-Bewegung tolerant und fortschrittlich? Ist eine Kirche tolerant und fortschrittlich, die den Frauen gern die Arbeit in den Gemeinden und den Männern Ämter und Würden überlässt? Und um nicht nur dem Katholizismus den Schwarzen Peter zuzuschieben: Sind Evangelikale wie zum Beispiel die Kreationisten tolerant und fortschrittlich? Ist es grundsätzlich ein Zeichen für Gleichberechtigung, wenn Frauen weniger verdienen als Männer in denselben Positionen? Ist es sonderlich tolerant und fortschrittlich, andere Religionen als intolerant und rückständig abzuqualifizieren? Haben wir wirklich abzuwägen, welche Religion die bessere ist? Haben wir wirklich Grund, unseren Glauben über den von anderen zu stellen? Wollen wir wirklich eine Stellvertreterdiskussion über einen angeblich drohenden Religionskrieg führen? Unabhängig davon, dass Kriege nur ganz selten von einer Partei ausgetragen werden können, in der Regel braucht man dafür mindestens zwei. Stellvertreterdiskussion, weil das eigentliche Thema das Recht auf Asyl ist. Und das ist – wenn’s auch nicht jedem gefällt – Menschenrecht. Und was die Import-Export-Frage betrifft: Ist es im Gegenzug richtig, Waffen in Regionen zu exportieren, die aufgrund instabiler politischer Verhältnisse diese Waffen durchaus auch mal gegen die Exporteure richten können? All diese Fragen – Ihre wie meine – mögen einfach klingen. Die Antworten sind aber leider nicht so einfach, wie wir uns das wünschen.
      Herzlichst, Ihr Dipferlscheißer

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