„Man muss au mol über Humor lache könne“: Rolf Miller im Trostberger Postsaal. Fotos: fal
„Reden is Schweigen, Silber is Gold“
Kabarettist Rolf Miller mit „Alles andere ist primär“ im Postsaal: Unschlagbarer Meister der Reduktion
Von Andreas Falkinger
Ja, der Miller. Ein Hansdampf in allen Dings. Allen Sackgassen. Breitbeinig sitzt er da, mehr dass er auf seinem Stuhl liegt, geerdet. Er hat sein Zentrum gefunden. Gut, mehr so ein geometrisches Zentrum: Der Körperschwerpunkt ist seine Mitte, die oberen Regionen sind eher Ausgleichsmasse. Denken passiert im Bauch und bricht sich mühsam Bahn. Die Bühnenfigur Miller reduziert konsequent jeden Gedanken, jeden Hauch eines Anflugs eines Gedankens aufs Wesentlichste, setzt dem in enzymatischen Dosen Halb- und Viertelwissen zu – und oben kommt dann weitestgehend Unverdautes raus. So eine Art antiperistaltisches Denken ist das. Zerebraler Brechdurchfall.
Ein Phänomen, das – von handelsüblichen Zeitgenossen im wirklichen Leben praktiziert – dem kopflastigeren Zuhörer auf Dauer latentes Unwohlsein bereitet. Wenn Dummheit körperlich schmerzt. An so einem Charakter hat der Kabarettist Rolf Miller ein Vierteljahrhundert lang gestrickt. Ganz einfach gestrickt – eins rechts, eins links, eins fallenlassen. In der Realität wäre der Bühnen-Miller eine in ihrer Schlichtheit unerträgliche Knallcharge. Doch auf der Bühne, da ist er der Knaller. Alles andere ist primär.
So heißt übrigens auch sein sechstes Soloprogramm, das Miller jetzt im Postsaal aufgeführt hat. „Alles andere ist primär.“ Extrem reduziert kommt er daher, ein Miller, ein Stuhl, eine Wasserflasch, natürlich aus Baden-Württemberg. Sein Sermon hat Stammtischniveau, doch den Tisch muss sich der Zuschauer schon selbst dazudenken. Aber schön, wenn ein Titel so deutlich die Richtung weist. Wie am Stammtisch haben nur die wirklich sekundären Themen eine Chance – am Stammtisch die Autobahnmaut, bei Miller Sudoku – „das sind Kreuzworträtsel für Leut, wo nix wissen“, Kochshows, Tatort und Atzdatz. Atzdatz? AC/DC halt. Weil der Miller ein Kind der 80er ist – um gleich nachzuschieben: „Wer sich an die 80er erinnert, hat sie nicht erlebt.“
Auch sein Frauenbild ist konstant 80er-lastig. Feminismusdebatten? Doch nicht in Millers Mikrokosmos. Do is er panikartig – entspannt. Eine heile Welt ist das noch, Namen haben die Männer im Programm, der Jürgen und dessen Bruder, der Achim. Ihre Schwester? Die hat Beine bis zum Hals, waffenscheinpflichtig. Drum heißt die auch nur schlicht „d’r Apparat“. Ihre Freundin – ebenfalls nicht unansehnlich, aber die Stimme – trägt folgerichtig den Namen „die Sirene“ und führt Abschreibungsfirmen mit Risikoverzinsung erfolgreich in die Insolvenz. Deren Schwester ist der Einfachheit halber die kleine Sirene. Hähä hähäha. Zeit wird’s für Millers geckerndes Woody-Woodpecker-Gackern.
„Wer sich an die 80er erinnert, hat sie nicht erlebt.“
Ja, das muss man sich mal auf der Zunge… vorstellen. Es geht ums Wesentliche. Dieses Beziehungsdings. Wichtig. „Der Mensch is oifach gschaffe für die Frau … des merksch.“ Aber einfach ist das nicht, oft hält’s ja auch nicht. Warum die Scheidung so teuer ist? „Weil sie’s wert ist.“ Trotzdem. Auch der Unversorgte muss die Hoffnung nicht aufgeben, weil: „Auf jeden Eimer passt ein Gsicht.“ Gsicht auf Eimer, wie das alte Sprichwort sagt. Wo nimmt er das nur her? Den Seinen gibt’s der Schlaf im Dings. Wahrscheins.
Miller ist ein Meister der Klarheit. Jetzt nicht im Sinn von Klarheit, sondern eher schlichter. Ein Meister der klaren Schlichtheit. Ganz unverstellt. „Du musch halt mal klar sagen: ja oder nein oder i weeß ned. Aber: Klar.“ Das kann er. Wobei im Subtext immer ein klares „Ich weiß nicht“ überwiegt. Glasklar. Dieses Nichtwissen kann – wie im wirklichen Leben auch – eine Meinung nicht zwangsläufig verhindern. Es gibt immer solche, wo Realität und Wirklichkeit verwechsle. Meinungsstark ist der Bühnen-Miller. Weil er zu allem und jedem eine Meinung nicht nur hat, sondern sie auch nicht formulieren kann. Wen er nicht beim ersten Ansehen versteht, der ist dann halt wahlweise ein Pfandflaschen-, Standstreifen-, Zipfel- oder glutenfreies Ingwergsicht. Oder eine ferngesteuerte Luftpump. Logisch, alles hat Vor- und Nachteile. Aber manchmal überwiegt beides.
Dabei weiß Miller Kommunikationspausen zu schätzen. Dann macht er nichts. Schaut nur. Und der Zuschauer kann ihm beim Denken zuschauen. Oder bei etwas Denkähnlichem, bei seiner Wortfindungsdings. Sehr oft macht er nix. Muss man lernen. Aber: Kann man üben. Mit Fleiß. Hähä. Eisern dranbleiben – des werd scho. Entspannung, zugucke, viel tut sich von allein. Musch die annern… Und auch mol hier (legt den Finger auf den Mund) – nix. Reden is Schweigen, Silber is Gold.
Nein, natürlich redet der Miller nicht nur Blödsinn. Auch wenn er seine Gedanken erfolgreich mit un- oder falsch vollendeten Phrasen kollidieren lässt – der Zuschauer weiß eh, was gemeint ist. Und manche seiner Beobachtungen sind frappierend treffend: Der Béla Réthy zum Beispiel, der kann drei Sprachen. Portugiesisch, Ungarisch, und noch eine. Aber was hilf’s? Nix: „Der hat noch nie das gleiche Spiel gesehen wie ich.“ Wem ginge es anders? Aber das ist ja nichts, was man mit einer psychopathischen Behandlung nicht wieder hinbekommen könnte. Einwandfrei, alles andere ist primär. Wahrscheins.
(18. Januar 2016)
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