Der Dutt zeugt von pädagogischer Allmacht, das Programm von fundierten Insiderkenntnissen: Christine Eixenberger steht auf Bastis Top-3-Liste weit vor seinem Minifurzkissen. Vermutlich genau anders herum stellt sich die Situation auf der Hitliste des Kultusministers dar. Fotos: fal
Aus dem Leben einer Bastelschlampe
Kabarettistin Eixenberger mit „Lernbelästigung“ im Postsaal: Vordergründig-netter Esprit als Vehikel für hintergründig-treffsichere Systemkritik
Von Andreas Falkinger
Ende der Nahrungskette. Das obere Ende natürlich, über Verlierer reden wir hier ganz sicher nicht. Management, Menschenführung, Einfluss. Macht. Von weitem schon zu erkennen: Hier steht Autorität, geballtes Wissen qua Amt und Kompetenz. Und der unbedingte Wille, dieses Wissen gewinnbringend anzuwenden. Sie wird bewundert, gar verehrt, sie ist ein Star. Die respekteinflößende Insignie uneingeschränkter Macht visualisiert das unmissverständlich: der Dutt.
[sam id=“8″ codes=“true“]Beinah. Nicht ganz. Klar, sie ist Managerin. Im educational Management. Sie führt Menschen. So um die 30 Stück, und mit ihren Entscheidungen greift sie potenziell tief ins Wohl und Wehe der Familien dieser 30 Stück ein. Natürlich hat sie Einfluss. Bewundert, verehrt wird sie auch, bisweilen angehimmelt. Zumindest von Teilen dieser 30 Menschen. Nun ja, Menschen. Kinder halt. Neun- bis zehnjährige Herzchen hat sie an der Backe. DIe Machtfülle ist übersichtlich. Christine Eixenberger ist Grundschullehrerin. Aber den Dutt, den trägt sie wirklich.
Wahrscheinlich ist sie eine gute Pädagogin. Also im Sinne der Kinder. Was so ein bayerisches Kultusministerium von einer Lehrerin hält, die den Mund nicht nur am Lehrerstammtisch aufmacht, sondern die große Bühne sucht, kann man nur ahnen. Man will’s nicht ahnen. Zieht man Grundlagen der Stochastik heran, dann weiß man’s eigentlich. Gut, Wahrscheinlichkeitsrechnung steht nicht auf dem Grundschullehrplan. So gesehen wird‘s Christine Eixenberger nicht grämen. Ihr bleibt die Bühne. Angenehm fürs Publikum, womöglich ein Verlust fürs Bildungswesen.
Warum wird man um Himmels willen Lehrer? Und wenn schon, warum ausgerechnet Grundschullehrer? Eixenberger gibt in ihrem Kabarettprogramm „Lernbelästigung“ im Postsaal fundierte Antworten darauf: Mei, es ist wie bei vielen – faktisch ein Bruch in der Erwerbsbiografie. Zuerst hat sie ja Jura studiert. Aber wer will sich schon mit der anwaltlichen Vertretung besoffener Waagscheitln durchfretten? Also was Anderes. Aber was? Die Generation Irgendwas-mit-Medien fährt Taxi, die akademische Ausbildung gipfelt im Bätschler, wenn’s ganz hochkommt im Master. Moasta. Die Bologneser Bombe hat tiefe Krater in die universitäre Ausbildung gerissen, hat sie wirkungsvoll entkernt. Also was Seriöses: Lehramt. Amt, das klingt doch verheißungsvoll. Autorität, Pfründe, staatlich garantierte Macht.
Der Plan an sich scheint schlüssig. Aber Grundschullehramt – was bleibt denn da? Wenn die persönliche Entwicklung beim fachgerechten Bedienen des Laminiergeräts endet. Wenn der Unterschied zur Erzieherin marginal ist – Ausbildungsdauer identisch, Bezahlung – zumindest anfangs – fast identisch. Gut, Lehrer haben mehr Ferien. Unterrichtsfreie Zeit, natürlich. Heißt ja nicht, dass die sich nicht daheim auf den Unterricht vorbereiten. Anfangs zumindest. Der Unterschied ist marginal, besteht in der öffentlichen Wahrnehmung eigentlich nur aus ein paar Konsonanten. Erzieherinnen sind Basteltanten. Und Grundschullehrerinnen Bastelschlampen. Sagt Eixenberger.
Nein, so ein Grundschullehrer legt das Fundament für gelungene Erwerbsbiografien. Kinder sind Zukunft. Selbstverständlich. Sowieso. Ist doch gesellschaftspolitischer Konsens. Kinder sind Zukunft. Darauf können sich die schwarzen Nullen der Gegenwart jederzeit berufen. Kinder verdienen unseren ganzen Einsatz. Unseren – ist ein bisschen hoch gegriffen. Wer hat schon die Zeit? Doch wohl die Pädagogen. Und bezahlt werden sie auch noch dafür. Fürstlich. Bespaßen vormittags das Humankapital der Zunft, und nachmittags haben sie dann Burnout. Augen auf bei der Berufswahl. Darum steht Eixenberger auf der Bühne, rein prophylaktisch. Entertainen muss sie sowieso. Dann halt die Generation, die ihre Primärklientel in die Welt gesetzt hat und ansonsten gern über die Jugend von heute lamentiert.
Weil früher vieles, wenn nicht alles besser war. Einfacher auf alle Fälle. Ist ein Drittklässler auf dem Schulhof über seine offenen Schnürsenkel gestolpert, dann war klar: Aha, ein Depp. Kann man so nicht mehr sagen. Vielleicht spricht er zwei Fremdsprachen, spielt Geige und Schach und hatte bei all der Dressur schlicht noch nicht die Zeit die Kunst des Schuhbandbindens zu erlernen. Hochbegabt könnte der Stolperer sein. Was „könnte“? Ist. Sagt seine Mama. Sagen alle Mamas über ihre lieben Kleinen. Alles Genies. Zumindest eine Inselbegabung müsste doch zu finden sein. Überhaupt: Die Auge-Hand-Koordination wird überschätzt. So wie soziale Kompetenzen. Die sind nicht messbar, da greift die Pisastudie ins Leere. Was heißt: Entweder es gibt sie nicht oder sie sind irrelevant. Jedenfalls gehören sie nicht explizit auf den Lehrplan.
Eixenberger gewährt in „Lernbelästigung“ tiefe Einblicke ins Pädagogenleben. Kinder machen darin offenbar die geringsten Probleme. Nehmen wir mal den kleinen Basti. Sohn eines Biobauern, Bruder eines Metzgergesellen, kernig, knuffig, lebenspraktisch. Der führt eine persönliche Top-3-Rangliste mit allem, was ihm wichtig ist. Platz 3: Pressack. Platz 2: sein Minifurzkissen. Und Platz 1? „Du, Frau Eixenberger.“ Auch bei den anderen Schülern, beim Marius, bei Melissa und wie sie alle heißen, hat sie einen Stein im Brett. Einen Findling. Wer Eixenberger zuhört, der ahnt: Die will Kindern was mitgeben, Wertschätzung, Achtsamkeit und Herzensbildung bedeuten ihr offensichtlich einiges. Steht so aber nicht auf dem Lehrplan.
Doch da gibt’s noch die andere Seite der Medaille, die paranoid-überambitionierten Helikoptereltern, die Ministerialbeamten, die munter praxisfern Lehrpläne gestalten und Lehrkörper per Zufallsprinzip mit lockerer Hand über den Freistaat verteilen. Minister, die ihre Stäbe bei jeder von der pseudo-gemeinnützigen Bildungs-Lobby, von den Bertelsmännern des Landes durchs Dorf getriebenen Sau zu konzeptionellen Spitzenfehlleistungen antreiben. Das alles ist nicht lustig. Nur dann, wenn Eixenberger aus diesem defizitären gesellschaftlichen Mentalmaterial Spitzen formt. Auch wenn sie Liedchen trällert, die vordergründig lustig sind, auch wenn sie mit aller Nachsicht und Verständnis die Verhaltensoriginalität ihrer Schüler auf die Bühne zeichnet – die Kritik, die sie am Bildungssystem übt, ist alles andere als oberflächlich nett.
Mit ihrem Programm „Lernbelästigung“ schließt Eixenberger die große Klammer, alles hängt mit allem zusammen. Was ein Bildungssystem mitverantwortet, das mehr Wert auf die Vermittlung von Lehrplaninhalten als auf die Entwicklung von Sozialkompetenz legt, ist im Paralleluniversum Facebook augenfällig zu beobachten, wenn in aller Bildungsferne orthografisch eigenwillig der Hasskübel entweder über gefühlte Eliten oder über diejenigen, die in der Nahrungskette unten stehen, ausgeschüttet wird. Gut, Eixenberger hat auch für diese Zeitgenossen aufmunternde Worte – „Das kannst Du besser“ –, aber wer will schon in seiner Freizeit Facebook-Kommentare korrigieren? Bei allem geballten Wissen, bei aller Autorität und fundierten Kenntnissen in Menschenführung. Da helfen auch Dino-Glitzer-Fleißsticker nicht weiter. Noch nicht mal die Insignie uneingeschränkter Macht bewirkt hier was. Weil so ein Dutt im Netz überhaupt nichts zählt.
(31. Oktober 2016)
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