Trotz eklatanter Probleme mit organisch gewachsenen Hierarchien wusste der Niederbayer Hannes Ringlstetter (links) im Postsaal zu überzeugen. Stephan Zinner sowieso. Fotos: fal
Und der Ober sticht den Unter
Stephan Zinner und Hannes Ringlstetter im Postsaal: Etwas Nachdenklichkeit, wenig Lesung, viel Musik und ganz viel Gaudi
Von Andreas Falkinger
Vertrauenskrise hier, Vertrauenskrise da. Das kommt doch irgendwo her. Man muss sich auch mal auf was verlassen können. Aber nein. Angelogen wird man. Permanent. Braucht sich keiner zu wundern, wenn man zum Wutbürger mutiert. Weil’s schon im Kleinen anfängt. Man schaut auf die Eintrittskarte, liest „2 Typen, 2 Gitarren, 2 Bücher“ – und glaubt das. Dann geht man in den Postsaal und sieht als erstes den Bühnenaufbau: einen Tisch, zwei Stühle, einen Gitarrenständer. Mit fünf Gitarren. Fünf. Nicht zwei. Könnt man sich zwar auch freuen und denken: „Fein, kriegst du fünf zum Preis von zweien.“ Trotzdem. Geschrieben steht 2. Auf der Eintrittskarte. Aus der Lügendruckerpresse ist die, bestimmt. Das summiert sich. Und irgendwann geht man dann – völlig berechtigt natürlich – montags in der Innenstadt spazieren.
[sam id=“8″ codes=“true“]Das wenigstens stimmt: Zwei Typen stehen auf der Bühne. Vielmehr sitzen sie meist. Stephan Zinner und Hannes Ringlstetter kann man mit Fug und Recht als „Typen“ bezeichnen. Doch dann geht’s schon wieder los: Ringlstetter hat sein Werk „Paris. New York. Alteiselfing“ dabei. 220 Seiten, Taschenbuchauflage. Buch. Aber das Druckwerk seines Kollegen? „Flugmango“, 92 Seiten, aber auch nur, weil Zeichnungen drin sind. Eine bessere Broschüre quasi. Oder wie Ringlstetter ein bisserl despektierlich sagt: „Ein Heft“. Nein, mit der Wahrheit haben sie’s nicht so. Zwei Typen, fünf Gitarren, ein Buch, ein Heft. Es summiert sich. Alles Lüge, alles falsch, alles Schweinerei. Mensch. Es haben in letzter Zeit schon Leute aus weit geringerem Anlass „Wir sind das Volk!“ gebrüllt. Gut, eher „wir sin däs Völk“.
Das ist das Glück der beiden liedermachenden kabarettistischen Schauspieler. Wir in Zentralsüdostoberbayern sind nicht so empfindlich, wir protestieren nicht gleich. Beim Zinner eh nicht, wir Trostberger halten zusammen. Der Ringlstetter hat da schon einen schwereren Stand, mit Recht. Und er tut auch nichts dazu ihn zu festigen. Zwickt der den Zinner, den Stephan, also unseren Schdief auf wegen seines oberbayerischen Dialekts. Andauernd. Ja geht’s noch? Weiß dieser Ringlstetter denn nicht, wo er grad ist? Hamm’s dem sei Navi ned eigschdoid? Hallo, wir sind in Trostberg. Z’Droschberg. In der Nah’n vom Keamsee. Da reden alle so! Fast alle. Dangerseeker, oder was?
Macht sich der Ringlstetter über unseren Dialekt lustig, dieser Ringlstetter. Der mag vielleicht in München gebürtig sein, aber aufgewachsen ist er in Straubing. Offenbar ein heimlicher Hort der Hochsprache. Aber ein ganz heimlicher. Das weiß dort noch nicht mal einer außer dem Ringlstetter selm vielleicht. So was muss man nicht ernst nehmen. Er ist halt Straubinger. Wie Gerda Hasselfeldt und Rex Gildo. Hossa.
Wer nimmt denn einen Straubinger ernst? Mia Droschberger jedenfalls nicht. Einen, der „gloffa“ zu „gelaufen“ sagt und eigentlich „glaffa“ meint? Einen Niederbayern? Wo doch ein jedes Kind weiß, dass der Ober den Unter sticht. Also auch der Oberbayer Zinner den Niederbayern per se. Geh, der Ringlstetter. Und dass der Zinner besser Gitarre spielt und dazu auch noch besser singt, versteht sich eh von selbst. The God of Blues of Trostberg hoid. Ringlstetter. Pfff. Was ist er denn, was hat er denn, was kann er denn, was macht er denn, was red’t er denn, wer glaubt er, dass er is? Ringlstetter. Ein Lustiger.
Eine Lesung mit Musik also. Wobei – auch das ist nicht ganz richtig. Musik machen die beiden schon, und zwar hochanständig. Gelesen wird aber eigentlich nur am Rande. Obwohl sich ein richtiges Lesungspublikum im Postsaal eingefunden hat. Ganz ohne Bauernschädel, wie Ringlstätter – Pluspunkt, hat er auch dringend nötig – ausdrücklich feststellt. Er muss es wissen, rurale Atmosphäre scheint ihm durchaus nicht fremd zu sein – immerhin trägt sein Buch den Untertitel „Auf Ochsentour durch die Provinz“. Aber heute keine Bauernschädel. Auch keine akustischen Beeinträchtigungen durch Wollmützen auf Zuhörerohren, Literatur kann ungehindert zu den Publikumshirnen vordringen. Zinners Werk hat übrigens keinen Untertitel. Wär auch ein bisserl übertrieben. Heft mit Untertitel.
Jedenfalls beschränken sich die beiden Protagonisten drauf, jeweils drei Texte vorzulesen. Ringlstetter legt den Finger auf die Wunde der musikalischen Früherziehung, exemplarisch dargestellt an seiner Biografie. Blockflötenunterricht. Es sagt schon einiges über die Gesellschaft aus, wenn Eltern, die das Drama am eigenen Leib erlebt haben, ihrem Sprössling die achtlöchrige Moeck aufzwingen. Wunschkinder müssten das nicht. Danach begleiten die Zuhörer den Niederbayern auf seinem Rock’n’Roller-Leben in einen fränkischen Gasthof, wo er sich im Sterbezimmer auf den Auftritt vorbereiten darf, und in die Kellerbar eines Aktiv-Sporthotels im Oberland, wo Wirt Simon – gesprochen Seimän – in abgegriffenem 70er-Jahre-Ambiente Mentaldefizite in Englisch kultiviert. Zinner dagegen gewährt einen Einblick ins großstädtische Leben: Er liest die Geschichten vom Treffen mit Gott in einem Münchner Getränkemarkt („Gott trinkt kein Löwenbräu“) und von seinem übergewichtigen Nachbarn Gerd Kowalsky, der beim Münchner Halbmarathon nach viereinhalb Kilometern über- oder unterzuckert eine Schneise in einen Gatorade-Stand schlägt („Alles mental“). Danach bringt er noch „Der Wein war ein Gedicht“ von Fritz Eckenga. Das war’s dann auch schon mit Literatur.
Reicht aber auch. Die Texte sind höchst amüsant, ab und an auch nachdenklich, mit Tiefgang gar, aber den Rest der über zwei Stunden Auftrittszeit wissen Zinner und Ringlstetter auch so extrem witzig zu füllen. Sie schießen einander an, nehmen sich selbst nicht sonderlich ernst, es wird geflachst, gehöhnt, gedisst. Alles ganz locker. Extrem locker. Man weiß gar nicht, ob man Zeuge eines ausgeklügelten Bühnenprogramms oder eines zwanglosen Gesprächs ohne kalkulierte Dramaturgie ist. Solche Konversationen könnte man sich auch in der heimischen Kuchl vorstellen. Lässig. Am Zinner ist wieder mal nichts auszusetzen, der Ringlstetter muss noch an seinem Wertekompass, was die hierarchische Grundordnung zwischen Ober- und Niederbayern betrifft, arbeiten. Ansonsten alles fein. Sehr fein. Und wurscht ist es auch, ob die jetzt zwei oder fünf Gitarren dabeihaben, zwei Bücher oder ein Buch und ein Heft. Man müsst’s halt nicht unbedingt auf die Eintrittskarte drucken. Nicht dass das noch eventuelle wutbürgerliche Vertrauenskrisen untermauert.
(14. Oktober 2016)
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