Eindeutig keine Polemik. Isso.
Dieser Text ist keine Polemik. Weil ich das sag. Was dem Klaus Steiner als Strategie recht ist, kann mir nur billig sein. „Keine Hetze, keine Scharfmacherei, nur Fakten.“ Ja, natürlich keine Hetze und keine Scharfmacherei. Wer wäre denn auf den derart abstrusen Gedanken gekommen, Klaus Steiner so etwas zu unterstellen? Nur Fakten. Eh klar. Asyl ganz nüchtern betrachtet. ‘Türlich, ‘türlich.
So schaut sie also aus, die Kommunikationsstrategie des Landtagsabgeordneten Steiner. Vorweg festklopfen, dass das, was kommt, keine Hetze und keine Scharfmacherei ist. Dann ist das auch keine Hetze und keine Scharfmacherei. Punkt. Und damit klar ist, dass wir das alles eben nicht mehr schaffen, hat Steiner Kronzeugen im Aktentäschchen. Zum Beispiel Münchens SPD-Sozialreferentin Brigitte Meier, die auch parteiübergreifend eingesehen habe, dass die Kommunalpolitik in Sachen Aufnahme von Flüchtlingen am Ende ihrer Kapazitäten steht. Ja, wenn das sogar die Sozis sagen. Geh weiter, ist doch keine Scharfmacherei dann.
„Die Stimmung kippt. Wir können nicht mehr.“ Hat die rote Meier gesagt. Gut, den Zusammenhang, in dem diese Sätze gefallen sind, müssen wir jetzt mal nicht ausblenden. Hat Klaus Steiner ja schon erledigt. Tatsächlich sagte sie das nicht, um die Situation im Allgemeinen zu beschreiben, wie das der Landtagsabgeordnete argumentativ verkürzt ins Feld führen will, sondern es ging um die spezielle Situation während der Wiesn. Die Sätze fielen, als sie die Lage an einem bestimmten Ort – am Münchner Hauptbahnhof – zu einer bestimmten Zeit – in der letzten Septemberwoche – beschrieb. Es ging gar nicht um die allgemeine Lage in Deutschland. Das Video mit Meier, auf das sich Steiner bezieht, ist auf Facebook von Rechten fleißig geteilt und nach deren Gusto umgedeutet und kommentiert worden. Da war‘s eher schon Hetze und Scharfmacherei. Wenn Steiner jetzt genau dieselben Sätze in genau denselben falschen Kontext stellt, dann hat das bitteschön nichts mit Scharfmacherei zu tun. „Keine Hetze, keine Scharfmacherei, nur Fakten.“ Hat er doch vorher schon gesagt. Isso.
[sam id=“8″ codes=“true“]Kronzeuge 2: Boris Palmer, Oberbürgermeister von Tübingen, Bündnis 90/Die Grünen. „Wir schaffen das nicht“, hat er auf Facebook gepostet. Wenn’s sogar die Grünen schon kapiert haben, dann können Steiners Botschaften doch gar keine Scharfmacherei sein. Nur leider – die Grünen haben’s so nicht kapiert. Der Gegenwind für Palmer aus der Partei, ja sogar aus der Tübinger Parteibasis ist ein scharfer. Nein, die Grünen haben nicht dasselbe kapiert wie Steiner und die CSU.
Wenigsten sein dritter Kronzeuge, Deggendorfs Landrat Christian Bernreiter, ist eine sichere Bank. Ein Parteifreund. Und die CSU macht ja nicht scharf. Tut sie nicht. Per definitionem.
Die Transitzonen, ja die wär’n doch was. Rein, prüfen, raus. Am besten gleich ganz raus. Transitzonen. Spitzenidee auf Mautniveau. Und zwar umfassend auf Mautniveau – auch hier ist noch unklar, ob sich diese Idee mit EU-Recht vereinbaren lässt. Vom Grundrecht jedes Flüchtlings auf individuelle Prüfung seines Asylgesuchs mal ganz zu schweigen. Das ganze Transitzonengedöns ist eine einzige Nebelkerze. Asylanträge sind nicht innerhalb von Stunden zu prüfen – warum sonst liegen immer noch zwei Jahre alte Anträge unbearbeitet auf Halde? Diejenigen, die zu entscheiden haben, ob ein Asylantrag abgelehnt wird, müssen juristisch sattelfest sein, sie müssen über profundes Wissen über die Herkunftsländer verfügen und psychologisch auch nicht ganz unbeschlagen sein, sollten sie es mit traumatisierten Flüchtlingen zu tun bekommen. Oft muss der Sachbearbeiter mehrmals mit einem Flüchtling reden um rauszufinden, ob seine Geschichte glaubwürdig ist. Rein, prüfen, raus – ist nicht. Also pferchen wir mal zehntausende Asylsuchende in Transitzonen zusammen und schauen, was passiert. Wenn da die Stimmung mal nicht kippt, hehe. Oft stellt sich erst nach Jahren raus, ob der Anspruch auf Asyl oder Anerkennung als Flüchtling berechtigt ist. Aber wir schaffen das jetzt innerhalb von Stunden. Das schaffen wir.
Tun wir doch nicht so, als ließen sich die Asylsuchenden pferchen. Die haben Tausende von Kilometern zurückgelegt, haben sich vom Mittelmeer nicht zurückhalten lassen, von der ungarischen Polizei nicht und nicht von ungarischen Zäunen. Aber bei uns, da marschieren sie geradewegs freiwillig in die Transitzone und bleiben brav hinterm Zäunchen, klärchen. Weil die CSU das so will. Der Wille der CSU ist nicht nur unser aller, sondern auch noch das Himmelreich jedes Asylsuchenden.
Die Politik muss auf die Sorgen der Bürger eingehen. Sagt Steiner. Manchmal schaut’s aber so aus, als müsste die Politik die Sorgen der Bürger erst besorgen, bevor sie auf sie eingehen kann. Ganz nach dem Jahrhunderte lang erprobten katholischen Prinzip: Erst dem Gläubigen Angst machen, um sie ihm dann wieder nehmen zu können. Gern auch mit dem Zwischenschritt einer Ablasszahlung. Zwischen Merkels „Wir schaffen das“ und Bernreiters „Wir stemmen das nicht mehr“ klafft eine Riesenlücke. Nicht nur, dass Bernreiter das glatte Gegenteil behauptet. Merkel und Bernreiter reden von zwei völlig unterschiedlichen Wirs. Merkel meint das Volk, Bernreiter die Landräte und Bürgermeister, den Verwaltungsapparat, der überfordert ist, die Infrastruktur, die jahrzehntelang vernachlässigt wurde – und zwar vermutlich von der Opposition, weil: Die Regierungsparteien waren’s doch sicher nicht. Für den sozialen Wohnungsbau war doch immer die Opposition verantwortlich, oder etwa nicht?
Von denen, die sich um die Flüchtlinge kümmern, den Ehrenamtlichen, den Helferkreisen, den Caritas- und den Diakoniemitarbeitern hört man kaum mal ein „Wir schaffen das nicht“. Das ächzt bevorzugt aus den Ecken, die sich monatelang willig von Seehofer, Scheuer, Söder & Co. bedienen ließen, mit dem Thema ansonsten aber nichts zu tun haben als ihre irrationalen Ängste pflegen zu müssen. Von denen, deren Mentalsystem derart kollabiert ist, dass sie glauben, dem Begriff „Gutmensch“ einen pseudoironisierend-negativen Klang verpassen zu können. „Edel sei der Mensch, hilfreich und gut.“ Das ist die Forderung eines der Dichter und Denker, auf die sich die Verteidiger der abendländischen Kultur ansonsten nur allzu gern berufen, ohne auch nur im Ansatz verstanden haben, was Goethe, Schiller, Kant, Schopenhauer, Heine, Nietzsche meinten. Woher sollten sie auch? Dazu müsste man sie erst einmal gelesen haben. Das ist der fruchtbare Boden für „Die Stimmung könnte kippen“. Als potenzielle Wählerschaft darf man die nicht vernachlässigen. Die Stimmung könnte kippen, ja, ja. „Self fulfilling prophecy“ heißt das.
Fruchtbarer Boden ist ausreichend vorhanden. Wir brauchen nur in die Städte der Besorgtbürgerkarawanen zu schauen. Oder auf die rund 500 Übergriffe auf Asylunterkünfte allein in diesem Jahr. Aber nein. Mit solchen Leuten will Steiner nichts zu tun haben. „Wir brauchen keine rechten Hetzer mehr. Wir brauchen keine Pegida mehr.“ Manchmal entlarvt uns halt doch unsere Sprache. Wenn wir sie nicht „mehr“ brauchen, wann haben wir sie dann je gebraucht? Und wer ist in diesem Fall „wir“? Das Volk? Die CSU? Und nein. Dieser Text ist keine Polemik. Weil ich das vorher schon gesagt hab. Punkt.
Dipferlscheißer vom Dienst (DvD): Andreas Falkinger
(24. Oktober 2015)
Der Dipferlscheißer bezieht sich auf den Artikel „Gegen Scharfmacherei – für Fakten“.
Zu „Eindeutig keine Polemik. Isso“: Leider erst heute gelesen. Aber sehr gut. Eine kleine Anektode zu manchen CSU-Granden und deren christlichem Weltbild könnte ich dazu beitragen. Z.B. 1994, Da sprach sich Herr Dr. Ramsauer dafür aus, Kurden in die Türkei zurückzuschicken, auch wenn ihnen dort Folter droht. Den Zeitungsausschnitt habe ich noch. Auf einen Leserbrief dazu bekam ich einen anonymen Brief, der locker mit den heutigen Hasstiraden von Pegida und NPD-Funktionären mithalten kann. Wer sich dafür interessiert, kann bei mir Kopien per Mail anfordern.