Kolumnendealer und Sprachpusher Axel Hacke fixt im Postsaal die Leute mit einem Stoff an, der über ein extrem großes Suchtpotenzial verfügt – „Das kolumnistische Manifest“. Foto: fal
Tiefe Einblicke ins Sprachwerkerhirn
Axel Hacke liest im Postsaal aus „Das kolumnistische Manifest“: Von Missverständnissen und Rattenpenissen
Von Andreas Falkinger
Der Sprachwerker hat’s nicht leicht. Da sitzt er, sucht das richtige Wort und findet‘s nicht. Weil Schreibtisch und Hirn nicht aufgeräumt sind. Irgendwo liegt’s, auf der Zunge oder unter einem Papierstapel. Oder es ist im Exil im Frontallappen, weil diese Routine im Broca-Areal grad mal wieder nervtötend ist. Dann schreibt er „Feuer der Zuneigung“, der Sprachwerker, wenn er „Liebesglut“ meint. Schwach. Man macht sich ja gar keine Begriffe, wie sehr wir Schreiberlinge leiden. Inwendig. Nein, da mag keiner reinschauen, in so ein Journalistenhirn.
[sam id=“8″ codes=“true“]Obwohl, das kann äußerst unterhaltsam sein. Wenn sich’s zum Beispiel ums Hackehirn handelt. Bevor die Assoziationen unappetitlich werden – das ist selbstverständlich weder ein Gedankenzerkleinerer noch ein faschiertes Nervenzentrum, sondern das Gehirn von Axel Hacke. Der lässt sich seit einem Vierteljahrhundert in den Kopf schauen, in seinen Kolumnen im SZ-Magazin und im Berliner Tagesspiegel. Die besten Texte hat er jetzt in einen Backstein gepackt, in ein 616 Seiten dickes Buch. „Das kolumnistische Manifest – Das Beste aus 1001 Kolumnen“ heißt es. Und weil so ein Buch nicht nur geschrieben, sondern auch unters Volk gebracht werden muss, ist Hacke unterwegs, um potenzielle Leser anzufixen – zum Beispiel am vergangenen Donnerstag im Trostberger Postsaal.
Ein Kolumendealer, ein Sprachpusher ist er also, dieser Hacke. Er hat aber auch gute Ware. 24 Bücher hat er damit gefüllt, nicht wenige davon sind Bestseller. Und jetzt das „Kolumnistische Manifest“. Groß schauzulaufen braucht er mit diesem Werk vermutlich nicht, das wird sich wieder verkaufen wie geschnitten Brot. Und deshalb muss Hacke auch nicht an seinen Zeilen kleben. Klar, er hat’s geschrieben. Er weiß ja, was drin steht. Hacke liest weniger als er erzählt, und das macht er immer charmant, immer knochentrocken, immer mit einem Gesichtsausdruck zwischen Loriot und Stromberg. Das ist nicht nur angenehm, das ist extrem amüsant.
Wer Hackes Kolumnen kennt, der weiß: Das Zeug hat Suchtpotenzial. Wie macht er das nur, über eine so lange Zeit, Woche für Woche? Worin liegt Hackes Geheimnis? Ganz einfach: Er hat keins. Er macht kein großes Gewese um seine Texte, obwohl er sie sicher selbst toll findet, klar. Trotzdem sieht er offenbar keinen Grund, den Zuhörern sein Erfolgsrezept vorzuenthalten. Und auch das macht seinen Vortrag so sympathisch.
Wie er’s schafft? Er lässt sich den Blick fürs Unwesentliche nicht verstellen. Er schnappt etwas auf, was augenscheinlich unwichtig ist, und dann lässt er die Assoziationen fließen, er dreht und wendet alles, was ihm zum Thema einfällt, lässt es wachsen, richtig groß wachsen, bis es scheinbar übermächtig ist, gewaltig. Der Schreiber hat Spaß am Schreiben, der Leser hat Spaß am Lesen, Letzteres ist aber sekundär. Wenn der Leser dann fertig ist, weiß er im besten Fall, er hat grad etwas Großartiges gelesen. Und wenn er sich dann das Thema der Kolumne noch einmal vergegenwärtigt, weiß er zudem: Das ist nach wie vor völlig unwichtig und wird seinen weiteren Lebensweg nicht nachhaltig beeinflussen.
So arbeitet er, der Hacke. Das läuft wie ein gut geöltes Räderwerk. Er schnappt zum Beispiel auf, dass an einer Viagra-Salbe geforscht wird. Schon rattert’s: Pharmazie, Forschung, Experiment, Versuchstiere, Ratten, praktisch ein Assoziationskettenrattenschwanz. Und so kommt er drauf, dass es Menschen geben muss, deren Bestimmung es ist zur Arbeit zu gehen und Rattenpenisse einzucremen. Auch kein Beruf, den man seinem Sohn im Mann-zu-Mann-Gespräch auf der Fahrt zum Kindergarten näherbringen will. Da wär man dann doch lieber Polizist.
Sprache, zumal so virtuos und stilistisch brillant gebraucht, wie Hacke das zu tun pflegt, ist was Großartiges. Sie ist es, die den Menschen letztlich vom Tier unterscheidet. Kommunikation, reden, verstehen, zuhören. Und verhören. Gehört genauso dazu. Was wäre das Leben ohne Missverständnisse? Missverständnisse, die sich festsetzen, einhaken, die man nicht mehr loswird. Gerade Liedgut, gleich welcher Sprache, ist höchst geeignet, missverstanden zu werden. Und trotzdem kann das bereichernd sein, wie Hacke beweist. Weil neue Bilder entstehen, weil die Fantasie angeregt wird.
Auch so etwas, was Mensch und Tier unterscheidet. Fantasie. „Hab‘ Fruchtzwerge in meinem Bauch. Kann nichts mehr essen…“ singt Grönemeyer. Singt er nicht, na und? Welcher Bauch fasst schon ein Flugzeug, geschweige denn Flugzeuge? Noch nicht mal der Calmunds. Chancenlos ist auch Matthias Claudius‘ „weißer Nebel wunderbar“ aus dem „Abendlied“, wenn Hacke versteht: „Und aus den Wiesen steiget der weiße Neger Wumbaba.“ Oder wenn ihm der kleine Luis von seinem Kindergartenwissen erzählt, wonach sich Jesus Beuys in Tölz eingewickelt hat. Joseph und Filz werden zweitrangig. Das sind Bilder, die man nicht mehr aus dem Hirn bekommt. Manchmal ist’s schon sehr amüsant, einem Sprachwerker in den Kopf schauen zu dürfen.
(18. September 2015)
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