Revolutionspathos, oberbayerisch interpretiert: Stephan Zinner besang im Postsaal unaufgeregt-komisch die wilden Zeiten. Fotos: fal
Die Revolution des bayrischen Bluesers
Stephan Zinner mit „Wilde Zeiten“ im Postsaal: Mit Maximalhumor gegen die Helenefischerisierung des Abendlands
Von Andreas Falkinger
Nur Hypertoniker um uns rum, Meinungsrowdys, Dipferlscheißer, Gifthaferl, rotschädlige. Überall! Umzingelt sind wir. Wie wir das nur aushalten. Wo wir doch ganz anders sind. Umgänglich. Nachgiebig. Fair, sicher, gelassen. Ja, man möcht schon auch manchmal aus der Haut fahren – aber natürlich nur wegen dieser Quadratschädel. Die Guten sind wir. Immer. Diese rechthaberischen Paragrafenreiter und affektierten Hugo-Sprizzler auf Dauer in die Schranken weisen – das wär’s. Da muss sich doch endlich was ändern. Eine Revolution muss her. Genau, viva la revolución! Und eine Art Che hätten wir auch schon. Wir Trostberger. Wir guten Trostberger. Den Stephan Zinner, der würde sich anbieten. Die Zeiten sind wild, doch Zinner ist der Gegenentwurf dazu, trotz des Titels seines Programms – „Wilde Zeiten“.
[sam id=“8″ codes=“true“]Selbstverständlich ist Zinner kein Guevara. Das wäre für Zentralsüdostoberbayern dann doch deutlich zu viel des kubanischen Revolutionspathos. Aber auch ihm jubelt das Volk zu, zumindest wenn er auf der Bühne steht – ob auf dem Nockherberg, in Ringlstetters Vereinsheim, in der Lach & Schieß oder im Postsaal. Und das völlig zu Recht. Weil er das, was er macht, richtig gut macht: Er identifiziert die richtigen Zeitgeist-Defizite, macht die richtigen Beobachtungen, schreibt die richtigen Texte. Kabarett, Musik, Schauspielerei – Zinner füllt die Bühne, ganz allein, mit einem Stuhl und drei Gitarren, seinem Spiel, seinem Gesang. Praktisch eine Weltmacht. Was braucht der eine Revolution?
Nein, politisch ist Zinner nicht. Muss er aber auch nicht. Sein Musikkabarett zielt weiter als nur aufs politische Tagesgeschäft, die Münchner und Berliner Politikdarsteller sind ihm hauptsächlich wurscht. Reicht schon, wenn er einmal im Jahr in Söders Haut schlüpft. Da ist ihm nichts zu neiden, es gäb sympathischere Häute. Zinner nimmt’s gleich mit der gesamtgesellschaftlichen Mentalität auf. Den Blendern, den Halb- und Volldeppen begegnet er mit stoisch-oberbayerischer Gelassenheit. Nicht umsonst heißt eines seiner Lieder „Nachgeben“. Den Zwang, den Zeitgenossen, der offensichtlich im Unrecht ist, zu bestrafen, lebt Zinner nicht aus, jedenfalls nicht, wenn er seine Einsichten auf der Bühne präsentiert. Man muss nicht jedem Deppen sagen, dass er ein Depp ist. Was gibt’s schöneres als so einem dabei zuzuschauen, wie er am eigenen Deppentum scheitert und freiwillig gegen die Wand läuft. Ein intelligentes Rezept.
So sind sie halt, die Trostberger im Allgemeinen und die Trostberger Kabarettisten im Besonderen. Jetzt ist aber gut mit Lokalpatriotismus. Natürlich finden Zinner und sein Publikum einen speziellen Draht zueinander. Nicht umsonst steht er fast drei Stunden auf der Postsaalbühne. Man kennt sich, kann auf einen gemeinsamen Anekdotenschatz zurückgreifen. Oberflächlich besehen besteht die Gefahr, dass die Trostberger den Künstler – früher einer von ihnen, jetzt ganz der Ihre – vereinnahmen. Einer, der’s geschafft hat, der auf der großen Bühne steht, weil oder obwohl er aus demselben Nest kommt. So einem droht, von denen, die’s angeblich schon immer gewusst haben, dass aus ihm was wird, in den lokalen Kollektivbesitz einsortiert zu werden. Einer von uns. Unsriger. Da muss man doch einfach gut finden, was der macht.
So ist es nicht. Zinner lässt sich nicht vereinnahmen, hat sich längst freigeschwommen. Selbstverständlich ist er einer, der weiß, wo er herkommt. Aber vor allem ist er einer, der weiß, wo er jetzt steht und welchen Weg er dafür zurückzulegen hatte. Er ist ein gestandener Musikkabarettist, ein gestandenen Schauspieler. Egal, woher er kommt. Dafür, was er vor ausverkauftem Postsaal zeigte, gebührt ihm kein regional motivierter Applaus. Den Respekt hat er sich verdient.
Auf der Bühne lebt er seinen Weg, alles, was ihm wichtig ist, hat er dabei: Die Liebe zum Blues, wie sie Punzi in der Musikschule kultiviert hat. Seine Familie, die immer eine tragende Rolle spielt. Anklänge an Ringsgwandl, in dessen „Tankstelle der Verdammten“ Zinner mitgespielt hat. Seinen Witz. Sein Herz für den Normalo. Seinen Blick fürs Absurde. Seine Skepsis gegenüber Borniertheit und Zeitgeist-Zentralranderscheinungen wie Helene Fischer und Hundehomöopathen. Alles nicht das Schlechteste, was einem Menschen eine Richtung geben kann. Wär‘s nicht so ein ausgelutschtes Wort, dann würd’s auf ihn passen: Der Zinner ist authentisch.
Und wenn er dann a cappella im tiefsten Bass wie der Prototyp eines afroamerikanischen Baumwollpflückers seinen Worksong anstimmt und nur von seiner Wammerltrommel begleitet – Bodypercussion heißt das – den Hackler besingt, der seine Pflicht bis zur Psychiatercouch und darüber hinaus erfüllt, dann hat das schon ein bisserl was von Revolution. Sollte er also tatsächlich mal die Blueser aus dem Münchner Untergrund um sich scharen und den Latte-Macchiato-Schlürfern und den ventillosen Dampfkochtopfschädeln aufs polierte Cayenneblech rücken – bei Che Zinners revolución wären wir schon dabei. Gern auch mit ganz viel zentralsüdostoberbayerischer emoción. Eher lakonisch also, unaufgeregt, aber komisch. Wilde Zeiten werden das.
(2. Mai 2015)
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