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Dramaturgie erstickt in der Faktenfülle: Keine Sternstunde des „Gebrauchstheaters im Brechtschen Sinne“ ist „Stille Macht“ von der Berliner Compagnie. Interimschefin Estelle (Natascha Menzel), Pharmalobbyistin Melissa (Angelika Warning), Waffenlobbyist Gordon (H.G. Fries), Tabaklobbyist Roy (Dimo Wendt), Agrarindustrielobbyist Quentin (Rondo Beat) und Wissenschaftler Jan Ole (Jean-Theo Jost; von links). Fotos: fal
Berliner Compagnie mit „Stille Macht“ im Postsaal: TTIP-Kritik ohne spürbaren Erkenntnisgewinn
Von Andreas Falkinger
Sehr geschickt. Zum Schluss des Stücks spielt die Berliner Compagnie die Giftliste auf der Leinwand ein: Politiker und ihre Referenten, Think Tanks, Agenturen. Alles Manipulatoren. Lauter Lobbyisten. Oder zumindest deren willige Helfer. Und natürlich Journalisten. Da sitzt man als Teil der Liga dieser Lügenpresssäcke im Publikum und denkt sich: Was schreibst da jetzt drüber? Bist du kritisch, heißt’s: Aha, wieder so einer, der sich von der Wirtschaft, der Politik, den Monsantos und Krauss-Maffeis dieser Welt vor den Karren spannen lässt. Dem Verdacht will sich kein Journalist aussetzen. Bleibt also nur, Stück und Ensemble pflichtschuldigst zu loben. Man will ja nicht zu den Mainstreammedienschaffenden gehören. Auch dann, wenn die Vorstellung viel verdient – nur keine uneingeschränkte Begeisterung.
[sam id=“8″ codes=“true“]Aber immerhin ist die Methodik interessant: Die Stimme der Abgehängten und Ausgebooteten, der Einflussarmen und Desinformierten schreit zurück, wie’s ihr seit Jahrzehnten entgegenschallt: manipulativ. Auch wenn’s nur in der Provinzzeitung erscheint – der Fahrspurassistent für den Kritiker ist aktiviert. Ist das noch Theater oder schon Nötigung?
Die Berliner Compagnie reklamiert für sich, „Gebrauchstheater im Brechtschen Sinne“ zu machen. Geht’s vielleicht eine Nummer kleiner? Brecht definierte den Sinn des Theaters im Erkenntnisgewinn des Publikums. Gewinn heißt: Der Zuschauer geht mit mehr als er gekommen ist. Nur weil man den Zuschauer mit der geballten Sammlung von tatsächlichen und gefühlten Fakten beschießt, die der dann reflektieren kann, aber nicht muss, oder die er in Gesprächen unbesehen als Argumentationsarsenal nutzen kann, steht man nicht gleich in der Tradition Brechts.
In ihrem Stück „Stille Macht“ nimmt sich die Berliner Compagnie TTIP vor. Gut, das Freihandelsabkommen, die Intransparenz seines Entstehens, die Informationshäppchen, die das stille Verhandlungskämmerlein verlassen, bieten allen Anlass gerechtfertigter Kritik. Unbestritten, dass es verwerflich ist, Menschen ohne Mandat unkontrolliert mit den Interessen derer, die die Suppe auslöffeln müssen, schachern zu lassen. Unbenommen. Natürlich kann das Bühnenstoff sein. Entscheidend dafür, ob’s zündet, ist aber schon auch die Umsetzung. Es zündet nicht wirklich.
Wirkung ist überschaubar
Wobei das weite Teile des Trostberger Postsaalpublikums anders sehen werden. Das liegt daran, dass die Compagnie weniger Gebrauchs- als Spartentheater ist. Die Zielgruppe ist klar definiert – und die erreicht das Ensemble. Es wird von Friedensinitiativen gebucht und vom DGB, von Weltläden und Attac-Gruppen, von Globalisierungsgegnern und Menschenrechtsaktivisten. Das ist beileibe nicht verwerflich – nur: Wen erreicht „Stille Macht“ jenseits dieser Adressaten? Die Intention der Compagnie ist ambitioniert, aber die Wirkung überschaubar. Diejenigen, die da sind, muss man nicht überzeugen. Das ist wie im Kabarett: Das Publikum lässt sich seine Meinung kurzweilig bestätigen. Da wird nicht aufgerüttelt, weil’s gar nicht mehr nötig ist.
So gesehen ist „Stille Macht“ eine billige Nummer mit Applausgarantie. Ein dünnes Brett. Die Handlung? Überschaubar und schnell erzählt. Ideologisch motiviert bis übermotiviert. Es käut alles, was man über TTIP weiß, und natürlich auch alles, was man ahnt, über 90 Minuten wieder. Alles, was schlecht läuft in der Welt, setzt die Berliner Compagnie in Relation zum so genannten Freihandelsabkommen. Wo T-TIP nicht die Wurzel allen Übels ist, ist es die Blüte dessen. Waffenexporte und Anbau genmanipulierter Pflanzen, Massentierhaltung und Finanzindustrie, Ausbeutung und Kriegstreiberei. Die Sichtweise ist radikal. Radikal eindimensional.
Spannungsbogen fällt aus
Theater darf das, natürlich. Aber in „Stille Macht“ geht‘s auf Kosten der Dramaturgie. Das darf Theater auch: auf den Spannungsbogen verzichten. Damit sind wir wieder bei Brecht und seiner Auffassung vom dialektischen und analytischen Theater, bei seiner Desillusionsstrategie. Doch im Gegensatz zu Brecht verzichtet die Compagnie nicht auf einen Spannungsbogen – sie hat einfach keinen. Die sechs Schauspieler arbeiten neun Rollen ab, davon sind sieben in der Lobby-Agentur „Utterly & Quiet“ – „Völlig & Geräuschlos“ angesiedelt: Der Chef mit Lungenkrebs (Jan-Theo Jost) agiert aus dem Off, seine Stellvertreterin Estelle (Natascha Menzel) gibt die Strategin, dazu kommen die Lobbyisten für die Agrar- (Rondo Beat), die Waffen- (H.G. Fries), die Pharma- (Angelika Warning) und die Tabakindustrie (Dimo Wendt) sowie der Wissenschaftler Jan Ole (Jean-Theo Jost). Dann sind da noch der standpunktbefreite Politiker Arnold (Beat) und – als einzige positiv konnotierte Figur – Nicki (Jost), Neffe und Gegner des Waffenlobbyisten Gordon.
Auch Theaterhände waschen andere Hände
Doch Nickis Auftritt dauert keine drei Minuten. Zu wenig Zeit, um einen familiären Konflikt und ein Aufeinanderprallen der Weltanschauungen zu inszenieren. Aber genug Zeit, um etwas definitiv Fragwürdiges unterzubringen: Nicki macht offen Werbung für die GLS-Bank. Das hat ein Gschmäckle. Die Genossenschaftsbank arbeitet nach sozial-ökologischen Grundsätzen, finanziert freie Schulen und Kindergärten, Behinderteneinrichtungen und regenerative Energien – dafür kann man schon mal Reklame laufen. Aber in diesem Fall dann doch eher nicht. Die GLS ist Unterstützer der Berliner Compagnie. Wenn die das „Eine Hand wäscht die andere“-Prinzip von Politik und Wirtschaft anprangert, kann sie es im selben Atemzug schlecht für sich in Anspruch nehmen.
Ansonsten haben nur die Zyniker, die Geschäftemacher, die Lügner und Betrüger das mehr oder meistens minder pointierte Sagen. Innerhalb der 90 Minuten bringen sie ihr Freihandelsabkommen zum Abschluss. Locker eingestreut sind Szenen mit auch nicht ausgearbeiteten, handelsüblichen innerbetrieblichen Geplänkeln samt integrierter Gleichberechtigungsproblematik, einem phrasenintensiven Talkshow-Coaching, einem informellen Gespräch mit einem Politikdarsteller und Verhandlungen mit potenziellen Waffenkäufern. Außerdem exerziert das Ensemble im Schnelldurchlauf vor, wie man Experte für eh alles wird. Das war die Handlung. Doch halt, am Schluss singen die Schauspieler noch mal. Jeder, der’s bislang nicht verstanden hat, bekommt’s ausdrücklich mit auf den Weg: „Wenn ihr uns nicht stoppt, machen wir weiter“, und: „Leute, es wird Zeit!“ Hätte jemand eines Aufrüttlers bedurft – hier wär er gewesen. Kann man anschauen. Muss man aber nicht.
(17. März 2015)
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